Montag, 3. September 2012

Talca, Paris y Londres

"Talca, Paris y Londres" ... dieses geflügelte Wort drückt nicht etwa den kosmopolitischen Flair meiner neuen Wahlheimat aus, sondern geht angeblich auf einen Irrtum zurück. Statt Talca in eine Reihe mit den europäischen Haupstädten zu stellen, äußerte irgendein gewisser Chile vielmehr: "Talca parece Londres" / "Talca gleicht London", wobei er sich auf den vielen Nebel bezog, der hier regelmäßig die Vormittage regiert und mir die ersten kalten Wochen ein eher tristes Willkommen beschwert hat. Im Gegensatz zu den kalten Wintern, mit fehlenden Heizungen in den Häusern und zugigen Fenstern, sind die Talcenen meiner Erfahrung nach umso warmherziger. Wenn man z.B. nach dem Weg fragt, wird man einfach zum Ziel hingebracht, auch wenn man dafür die Arbeit liegen lässt. Sollte ich Talca in einem Wort beschreiben, trifft es "provinziell" ganz gut, würde ich meinen. Mit all den Vorteilen - man kennt schnell viele Leute und Orte -, und Nachteilen - als offensichtlicher Ausländer wird man schon manchml skeptisch angeguckt oder völlig übertrieben nett behandelt. 



Ein nebelfreier Blick über die ca. 200 000 Einwohner große Stadt, im Hintergrund die Anden




Wie in so vielen chilenischen Städten ist auch hier Zentrum des Geschehens der Plaza de Armas




In diesem Häuschen wohne ich bei Maria und Antonio



Ein Blick auf die Straße vor dem Haus, die Avenida Lircay. Inzwischen ist auch die Übergangszeit zwischen Winterregen und Frühlingssonne weitgehend vorbei. Schon jetzt scheint die Sonne ab und zu so warm wie im deutschen Sommer.




 Das Zentrum Talcas ist recht unspektakulär. Im Großen und Ganzen gibt es eine Einkaufsmeile mit diesem Platz in der Mitte. Touristische Sehenswürdigkeiten sucht man vergeblich. Das einzige Museum, dass es in Talca gab, - benannt nach dem Lokalheld O`Higgins-, ist seit dem Erdbeben geschlossen.






Und die Folgen des Erdbebens sieht man auch sonst an jeder Ecke. Bis jetzt wurde ich von schwereren Erschütterungen verschont. Das kleine Templor, das ich mitbekommen habe, war zwar sehr merkwürdig, aber nicht beängstigend. Es war, als wäre man für ein paar Sekunden auf einem schaukelnden Schiff. Toitoitoi, dass es im kommenden halben Jahr so ruhig bleibt.



Auf einem Spaziergang durch die Stadt...


gibt es anstelle von touristischen Sehenswürdigkeiten oder kulturellen Highlights eher nette Details zu entdecken.


Unter anderem Zeugnisse der deutschen Einflüsse auf die chilenische Kur. Neben "deutschem" Bier gibt es auch "Kuchen" statt dem spanischen "pastel" zu kaufen, Chilenen lieben Bratwürste und in meinen Kusen an der Uni sitzt nicht selten eine Kommilitonin mit deutschklingendem Namen wie Stephanie Hirsch (allerdings chilenisch ausgesprochen).



Das Yogahaus, zu dem ich sporadisch gehe, ist in etwa so esoterisch wie es aussieht. Im Glasschrank stehen zum Beispiel ausschließlich alte, schräge und spirituelle Bücher. Man muss dazu sagen, dass hier allgemein die Leute offener gegenüben alternativen Praktiken sind, die in Deutschland wohl eher schief angeschaut werden würden. Die Yogastunden waren für mich anfangs eher enttäuschend. Kein Sonnengruß, keine Anfangs- und Schlussentspannung, eher wenige Asanas, stattdessen viele gymnastische Vorübungen. Aber auch diese Art von Yoga ist immer noch besser als gar kein Yoga.






Der "Rìo claro", der durch Talca fließt, wird wegen seines Namens oft belächelt - es ist der vielleicht dreckigste Fluss Chiles, wie so mancher Einheimischer behauptet.



Im Bild: "pepinos" - ganz genau, der gleiche Begriff, der für die Salatgurke verwendet wird. Das Obst "pepino" schmecht ungefähr wie Melone und liegt bei mir mehrmals pro Woche auf dem Frühstücksteller. Andere neue Obst- und Gemüsesorten muss ich auch irgendwann noch durchprobieren. Wie es in einer Agrarregion wie dieser nicht anders sein kann, gibt es einen fast täglichen Markt, CREA, auf dem die "Huesos" aus der Region ihre Produkte an den Mann bringen. Obst und Gemüse ist übrigens das einzige, was in Chile preiswerter zu haben ist, als in Deutschland. Milch z.B. kostet das Doppelte.




Ein waschechter "Hueso" mit Poncho zu Ross ist im Straßenverkehr immer mal wieder zu sehen. Mit "Huesos" sind die Bauern aus der Region gemeint, die zum Beispiel im CREA ihre Produkte verkaufen, und deren extremen Dialekt ich nun wirklich nicht verstehe.




Etwas außerhalb vom Zentrum stolpert man auch immer mal wieder über ärmere Viertel, die fast wie Slums aussehen, und in denen die Kriminalität erhöht  ist. Vor allem um Feiertage herum sorgen Jugendliche aus solchen Zonen mit Raub und Diebstahl für Aufsehen. Eins davon liegt auch am Wegrand zur Uni bzw. zum Sutdentenviertel, wo regelmäßig die "carretes" (Partys) stattfinden. Deswegen, und auch sonst in der Stadt, ist es ratsam, auch für kurze Strecken nachts immer das Taxi zu nehmen. Auch wenn im chilenischen Fernsehen eine Bluttat der anderen folgt, und sexueller Missbrauch, Kreditkartenmanipulation und verjährte Erdbebenfolgen jeden Tag berichtet werden, ist es im Alltag aber doch nicht so wild, wie man es vielleicht annehmen könnte.




Was allerdings wirklich etwas gruselig ist, sind die vielen Gedenkstätten am Straßenrand. Und irgendwie ist das kein Wunder, wenn man sieht, wie die Chilenen die Kurven nehmen. Angeblich wird Ende des Jahres eine neue Führerscheinprüfung nach deutschem Vorbild eingeführt. Man kann nur hoffen, dass es was bringt!




Auch die Fahrer der "Mikros" (so werden die Kleinbusse genannt, die das Verkehrsnetz bilden) fahren oft wie die Henker. Dafür kennen sie nsich in Talca gut aus. Einen Fahrplan oder ein Streckennetz, wie in Deutschland üblich, sucht man in Talca leider vergeblich. Das heißt, man muss sich durchfragen, welcher Bus einen wohin bringt. Das wäre nicht so schlimm, wenn einen die Chilenen aus Höflichkeit nicht eher Quatsch erzählen würden, als zuzugeben, dass sie keine Ahnung haben. Deswegen hab ich mich auch schon zweimal ordentlich verfahren. Seitdem meld ich mich immer direkt beim Fahrer,  dass er mich bitte am richtigen Punkt rauslassen soll. In Situationen wie diesen vermisse ich die deutsche Organisiertheit. Die Einheimischen wissen zwar alles von Haus aus, auf Touristen ist die Stadt einfach nicht ausgelegt.


Wo Talca an kulturellen Highlights wenig zu bieten hat, werde dafür  ständig irgendwelche Feste gefeiert. Im Bild eine Feier zu "Monat des Kinds" im August, zu dessen Anlass die Bürgermeisterkandidaten jedes Wochenende eine Art Volksfest für die Familien geschmissen haben. Am Wochenende meiner Ankunft hier wurde das "Fest des toten Schweins" ("Fiesta de chancho muerto") gefeiert. Und im September kommen die "Fiestas Patrias", in denen alle Chilenen zum Nationalfeiertag fast eine Woche frei haben. Schon seit Wochen freuen sich alle darauf. Angeblich wird da vor allem gegessen (viele Empanadas) und getrunken, tagelang. Naja, ich werd die Zeit wahrscheinlich eher für eine Reise nutzen.





Typisch für September und die Fiestas Patrias sind auch die Drachen, die die Kinder hier schon im August fleißig steigen lassen. Verkauft werden sie an jede Ecke.




Wenn man den Río Claro überquert hat, kann man den "Hügel der Jungfrau"/ "Cerro de la Virgen" besuchen. Nach ca. einer knappen Stunde Aufstieg gelangt man zur Marienstatue und erhält bei nebelfreiem Wetter einen Blick über ganz Talca mit den schneebedeckten Anden im Hintergrund (s.o.). Meine "Wandergruppe", hier in Szene gesetzt, bestand vor allem aus Mit-Austauschstudenten. (Ich bin die, die in etwa unter der chilenischen Fahne steht.)

Die Marien- und Heiligenverehrung ist in Chile stark ausgeprägt. Es scheint, als gäbe es auf den meisten Hügeln eine große Marienstatue mit Blumen und Dankestafeln, unweit davon auch meist ein Kreuz. In Kirchen findet man neben Heiligenstatuen, an denen ebenfalls unzählige Dankestäfelchen angebracht sind, zu meiner Überraschung auch oft eine chilenische Flagge.

Straßenhunde gibt es auch in Talca unzählige, fast mehr als Santiago. Gern jagen sie kläffend anfahrenden Autos hinterher, was an Straßenkreuzungen oft gefährlich anzuschauen ist. Und auf dem Fahrrad macht es auch keinen Spaß, von ihnen gejagt zu werden. Ansonsten lassen sie einen aber in Ruhe und bringen eine ganz eigene, lebendige Atmosphäre in den Alltag.


Auch in der Uni werden die Kurse von so manchem Straßenhund besucht. Mehr zum Studieren in Talca findet ihr bald im nächsten Post...




























































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